Logo der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Otloh von St. Emmeram: Autor und Kopist

Menu

Der Autor

Präambel

»Weil es Vergnügen macht, Abwechslung zu haben, habe ich mich einstmals bemüht, Werke unterschiedlicher Art zu schreiben, nicht nur, um den Überdruss der Langeweile zu vertreiben, sondern auch, um die seelischen und körperlichen Kräfte zu beleben. Aber jetzt will ich darlegen, was ich geschrieben habe.

Zuerst also habe ich drei Bücher zu verschiedener Zeit und in unterschiedlichem Stil herausgegeben. Ich wollte sie in einem Band zusammenstellen wie zu einem gedeckten Tisch für eine Tafelrunde nach Art der drei Gänge, die den Speisenden zu reichen der heilige Vater Benedikt uns in der Regel aufgetragen hat, damit, wer durch einen Gang nicht zufriedengestellt werden, doch durch einen anderen satt werden kann. So vertraue ich im Herrn darauf, dass jeder, der die geistliche Speise genossen hat, in einem von ihnen etwas findet, womit er sich geistlich erfrischen kann.

Aber das sei ganz allgemein über alle drei Werke gesagt, jetzt aber möchte ich mitteilen, was jeweils der Grund war, die einzelnen zu schreiben, damit der Leser ein wenig darüber unterrichtet wird und weiß, dass ich mich keineswegs ohne Grund mit solchen Dingen abgemüht habe« (Gäbe, op. cit., S. 319–321).

Der „Libellus de doctrina spirituali“ im Kloster St. Emmeram in Regensburg

»Das erste in Versen abgefasste Buch, dem ich den Titel Von der geistlichen Lehre gab, schrieb ich aus folgendem Grund: Als ich einstmals von einer schweren Krankheit genesen und zum Leben des Mönchs gekommen war, bin ich in so kurzer Zeit, dass man es kaum glauben kann, wieder gesund geworden. Weil ich fürchtete, mir könnte aus dieser Gesundheit ein geistliches Übel erwachsen, habe ich Gott von ganzem Herzen darum gebeten, mich jetzt, wo ich wieder gesund war, nicht in nutzloser Muße erstarren zu lassen, sondern zu erlauben, dass ich mit irgendeiner Versuchung geschlagen würde, die ihm für mich angemessen erschien. Nach diesem Gebet verging nicht viel Zeit und siehe, da stürmten verschiedene Plagen und Versuchungen mit einer solchen Wucht auf mich ein, dass ich bisweilen fürchtete, unvorsichtig gebetet zu haben und mehr zu meinem Untergang als zu meinem Vorankommen erhört worden zu sein. [...]

In dieser Mühsal der Versuchung – sie wurde bedrohlicher, je gesünder der Körper wurde – habe ich deshalb gründlich zu überlegen begonnen, mit welcher Anstrengung und welcher Arbeit ich den Körper dem Geist unterwerfen könne. Weder das, was man mich gemeinsam mit den anderen Brüdern im Kloster zu tun lehrte, noch das, was ich mir als besondere Demutsübung im Schreiben, Lesen oder auch im Fasten auferlegte, schien nämlich auszureichen, den Körper zu bezwingen. Als ich also lange darüber nachdachte, mit welcher Mühe ich mich, der ich mich in so schweren Gefährdungen befand, am wirkungsvollsten, am geeignetsten und auch beständig in Schranken halten könnte, kam mir in den Sinn, mich mit der Abfassung irgendeines Werkes zu beschäftigen. Ich habe nämlich oft erfahren, dass der lose Geist eines jeden, der in der Schule ausgebildet ist, durch nichts mehr gezügelt werden kann, als durch die Anstrengung des Schreibens. Ich ergriff also die Gelegenheit und begann mein erstes Buch zu schreiben, und zwar in Versen, weil ich mich darin besonders übte, als ich noch im weltlichen Leben stand; in diesem Buch legte ich mancherlei Sätze einer geistlichen Lehre nieder, mit denen ich mich lediglich gegen die drohenden Versuchungen ausrüstete und stärkte.

Ich wollte die Aufmerksamkeit besonders auf das Ausmaß meiner Verdorbenheit lenken, der ich mich in der Welt wie andere Kleriker auch hingab, und außerdem auf meine Verstocktheit, die ich dort mehr als andere beibehielt, und die ich, wenn sie schriftlich zum Ausdruck gebracht würden, klar erkennen und mit um so größerer Bußfertigkeit abwaschen könnte. Deshalb habe ich in dieses kleine Buch eine Predigt eingefügt, die im Stil einer Klage formuliert ist. Zuerst handele ich dort freilich über verschiedene Nachlässigkeiten von Klerikern wie auch über ihre Habgier, danach erzähle ich von den Strafen für meine beklagenswerte Schlechtigkeit, die ich sowohl geistig wie auch körperlich auferlegt bekam.

Damals wusste ich nämlich noch nicht, ob solche Aussagen später an irgendeinem Ort veröffentlicht werden sollten. Obwohl sie in der Mitte stehen, sind sie doch nach dem übrigen von mir veröffentlicht worden, als ich schon angefangen hatte, mich mit etwas schärferem Blick kennenzulernen.

Weil dieses Buch in Metren verfasst ist, wie sie gewöhnlich von vielen zu Beginn den Knaben und Anfängern beigebracht werden, um schreiben und lesen zu lernen, habe ich beschlossen, es auch an den Anfang zu setzen. So kann es, wer sich auch immer zum Weg der Wahrheit bekannt hat, benutzen wie ein Frühstück, das seiner noch neuen Bekehrung angemessen ist; und wenn er so durch eine etwas leichtere Kost gestärkt ist, angemessener darangehen, die feineren Speisen der heiligen Lehre zu empfangen« (Gäbe, op. cit., S. 321–323).

Von Regensburg nach Fulda: Der „Liber visionum“

»Obwohl ich das Buch der Visionen nach zwei anderen geschrieben habe, habe ich es in der Reihe an die zweite Stelle gesetzt, damit die Lehre, die im ersten Buch in verschiedenen Äußerungen dargestellt ist, in diesem auch durch verschiedene Beispiele befestigt werde und damit sich die vorausgeschickten Worte um so nachhaltiger im Sinn festsetzen, als sie im folgenden durch ein höherrangiges Zeugnis göttlicher Gnade und Strenge bestätigt werden, nach Art einer feinen Speise, die zuerst in reinem Wasser gekocht und danach mit etwas Essig oder auch einer Prise Pfeffer verfeinert wird. Wenn bei der Belehrung allein Worte der Milde vorgebracht werden, so können diese gewissermaßen als Speisen verstanden werden, die lediglich in Wasser gekocht sind. Wenn dann aber einige Beispiele von Strenge hinzugefügt werden, können sie angemessenerweise aufgefasst werden als Gerichte, die mit der Würze von Essig oder der Zugabe von Pfeffer zubereitet sind, damit sie schmackhafter werden. Da doch eine Speise, die mit würzigen und süßen Zutaten gekocht wurde, lieber gegessen wird, ist es also auch offensichtlich, dass eine Belehrung, die zwar mit schönen Worten angefangen hatte, danach aber mit Beispielen einer gewissen Strenge vermischt wurde, aufmerksamer zur Kenntnis genommen wird. [...]

Nachdem dies vorausgeschickt ist über die Anordnung dieses Buches als zweites, will ich noch hinzufügen, wo und zu welcher Gelegenheit es geschrieben worden ist. Als ich sah, wie unser Kloster, das in der Stadt Regensburg liegt, durch mannigfache Verfolgung von Seiten der Bischöfe zugrunde gerichtet wurde, und es dort dreißig Jahre lang in der Hoffnung auf Besserung der Verhältnisse aushielt, kam es durch den verborgenen Ratschluss Gottes ganz anders, als ich erhoffte. Wie es aber zu diesem tiefgreifenden Zerfall kam, das überlasse ich anderen zu berichten – es kann nicht kurz dargestellt werden, und hier ist auch nicht der Ort, derartige Albernheiten auszubreiten –, ich erzähle nur das Folgende: Ich hatte bemerkt, wie das äußere und innere Wohl unseres Klosters zerstört wurde, und ich hatte dagegen nichts ausrichten können; ja ich war vielmehr noch von einigen jungen Brüdern, denen ich missfiel, beim Bischof angeklagt worden und hatte öfter gehört, dass von ihm und seinen Vertrauten verschiedene Drohungen gegen mich ausgesprochen wurden. Daraufhin bin ich, nachdem ich vom Abt die Erlaubnis dazu erhalten hatte, zum Kloster Fulda aufgebrochen, gewissermaßen mit der Absicht, bald zurückzukehren.

Gleichwohl zweifle ich doch nicht daran, dass niemand eine solche Zerstörung gegen uns ins Werk setzen könnte, wenn er nicht durch ein gerechtes und durch unsere Sünden erzwungenes Urteil Gottes die Erlaubnis dazu erhalten hätte. Dies lässt sich ja auch deutlich daran erkennen, dass im Jahre meines Weggangs, welches das Jahr 1062 nach der Fleischwerdung des Herrn war, unser Kloster durch ein unglückseliges und immer zu beklagendes Feuer niedergebrannt ist.

Als ich also im Kloster Fulda war und dort das Geschenk der ersehnten Ruhe und Liebe gefunden hatte, habe ich häufig überlegt, wie ich Gott für die Gnade dieser Ruhe, die mir von ihm gegeben wurde, Dank abstatten könnte. Es schien mir damals schon viel wert, in diesem Kloster mit gelassenem Schritt umhergehen zu können, wo ich in meinem eigenen Kloster über längere Zeit hinweg nicht einmal ohne Angst, getötet zu werden, im Bett ruhen konnte. Deshalb richtete ich meine Seele ganz darauf aus, Gott meinen Dank abzustatten; und als ich länger danach gesucht hatte, ob sich mir nicht ein geeigneter Stoff zur Abfassung eines Werkes anbiete, habe ich endlich einen Anlass zum Schreiben gefunden: Visionen nämlich, die ich einstmals geschaut, und auch solche, die ich von anderen gehört hatte, als ich durch verschiedene Orte kam.

Ich meinte nämlich, dass es nützlich wäre, sie vielen Menschen zur Kenntnis zu bringen, weil ich glaube, dass es sich auf alle Menschen bezieht, sooft jemand, sei es zur Strafe oder sei es zum Trost, von Gott heimgesucht wird. [...] Auch deshalb wurde ich veranlasst zu schreiben, weil ich, als ich einst die beiden Werke herausgab, mir sehr oft gewünscht habe, zu Ehren der heiligen Dreifaltigkeit ein drittes zu veröffentlichen, wenn dieselbe Dreifaltigkeit geruhte, mich dazu zu inspirieren. Durch diesen Grund bewogen, habe ich mich bemüht, das Buch der Visionen zu schreiben, von dem ich bereits gesprochen habe« (Gäbe, op. cit., S. 323–327).

Eine Rückblende auf Regensburg: Der „Dialogus de tribus quaestionibus“

»Nun ist aber zunächst noch mitzuteilen, warum ich das dritte Buch, das ich, wie ich glaube, vor fünfzehn Jahren geschrieben habe, an die letzte Stelle gesetzt habe; und dann ist auch noch anzufügen, aus welchem Grund es geschrieben worden ist. Es ist bei vielen, die erlesene Festessen genießen, Sitte, als ersten und zweiten Gang einige weniger ausgesuchte Speisen zu bestellen (wir nennen sie nicht deshalb weniger ausgesucht, weil sie etwa schlecht wären, sondern nur, weil sie schlechter sind als die besten), als letzten Gang aber exquisite und mit einer gewissen Kunst zubereitete Gerichte; sie möchten damit weniger ihrer eigenen Genusssucht dienen als vielmehr beitragen zur Freude und ehrenvollen Behandlung anderer, die vielleicht zum Festmahl eingeladen sind. Auch ich habe etwas Ähnliches beabsichtigt und wollte zum Schluss den Lesern, die gleichsam wie zu einem gemeinsamen Mahl zusammensitzen, einige Worte erlesenen Inhalts vor Augen setzen. Auch wenn sie in schlechtem Stil geschrieben sind, sollte sie doch jeder begierige Leser als erlesenes Mahl genießen können, weil sie die Würde eines edlen Stoffes enthalten.

Welcher Inhalt könnte nämlich feiner und süßer sein, als mit aller Anstrengung zu forschen und mit vielen Zeugnissen Beweise zu erbringen über die Gnade Gottes, und warum an sie geglaubt und sie Gnade genannt werden muss, und über seine Urteile, wie wahr, gerecht und notwendig sie sind, und schließlich darüber, eine wie umfassende Fähigkeit wir von Gott gewährt bekommen haben, gut zu handeln? Diese drei Gegenstände habe ich mit der Lösung dieser drei Fragen in dem Buch, das ich an die dritte Stelle gesetzt habe, und in einem Stil, so gut wie ich es vermochte, in Dialogform behandelt; mit dieser Zahl und Anordnung wollte ich die heilige Trinität ehren. Aber ich bemühte mich auch, damit die Dreifaltigkeit zu ehren, dass ich in der dritten Frage über dieselbe Dreifaltigkeit und Einheit gemäß den Kräften meines Verständnisses, kurz und in offener und überzeugender Art, wie ich hoffe, mit verschiedenen Beispielen und Argumenten handelte; diese dritte Frage habe ich denen, die zum Mahl der Lektüre zusammensitzen, zuletzt wie eine vorzügliche Speise, nach kunstreicher Art zubereitet und serviert, vorgesetzt.

Ich hoffe auch, in diesem kleinen Buch allen, sowohl denen, die im weltlichen, wie auch denen, die im geistlichen Leben stehen, einige Worte der Erbauung gegeben zu haben, mit denen jene, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit (Mt 5,6), erfrischt werden können. Das also sollte gesagt werden über die Anordnung des letzten Buches, dem ich den Titel gegeben habe Über drei Fragen, welche sind: Über die Erkenntnis der göttlichen Gnade, Über die Verschiedenheit der Urteile Gottes und Über die mannigfaltige Möglichkeit, gut zu handeln.

Schließlich aber fügen wir hinzu, aus welchem Anlass es geschrieben worden ist. Ein gewisser Mönch aus dem Kloster Reichenau, Heinrich mit Namen, der von einer sehr vornehmen Familie der Alemannen abstammte, war nämlich einige Zeit Gast bei uns, als er aus Jerusalem zurückkehrte. Weil er im Studium der Heiligen Schrift sehr wissbegierig war, kam er häufig zu mir wie zu einem Lehrer und bat mich inständig wegen einiger Sätze der Heiligen Schrift, dass ich sie ihm auslegte. Ich aber kam der Demut und Hartnäckigkeit seiner Bitte, so gut ich konnte, nach und habe ihm auf einige Fragen geantwortet. Und weil ihm diese Unterhaltung, die öfter zwischen uns stattfand, gefiel, fing er schließlich an, mich darum zu bitten, ich solle das Gespräch schriftlich fixieren.

Obwohl ich das aus Trägheit wie auch aus Mangel an Wissen lange aufgeschoben habe, habe ich es endlich in Angriff genommen und es als Dialog niedergeschrieben, aber ohne Bezeichnung des Autors und ohne Anfangsbuchstaben bekannter Personen, damit nicht so leicht zu erkennen wäre, zu wem das Werk gehörte. Inzwischen brach jener aber, in sein Kloster zurückberufen, auf, doch nach nicht langer Zeit kam er wieder zu uns. Und als er sah, was ich zu schreiben begonnen und wie ich alles verschleiert hatte, bat er mich inständig darum, den Anlass zum Schreiben im Prolog zu erläutern und im Dialog das Andenken an die beiden Partner, mich nämlich und sich, offen darzutun. Das zu erfüllen, habe ich mich bald, so gut ich konnte, bemüht. Das war also der Anlass für mich, den Dialog zu schreiben; ich habe ihn deshalb mitgeteilt, damit nicht der Eindruck entstehe, ich reihte ohne Grund eine Schrift an die andere; außerdem sollen so alle, in deren Hände dieses Buch kommen wird, die Liebe erkennen, die mich veranlasste, es zu schreiben, und ihrerseits durch eben diese Liebe veranlasst werden, es zu lesen.

Das sollte gesagt werden über die drei oben genannten Bücher, die ich als eines komponieren wollte. Jetzt möchte ich auch erörtern, aus welchem Anlass ich mich bemüht habe, die anderen Bücher zu schreiben« (Gäbe, op. cit., S. 327–331).

Der Aufenthalt im Kloster Fulda (1062–1066): Die „Vita sancti Bonifatii“, der „Libellus manualis de ammonitione clericorum et laicorum“, der „Libellus proverbiorum“

»Als ich also auf der Flucht vor den Nachstellungen, die ich, wie erwähnt, in unserem Kloster erlitten hatte, zum Kloster Fulda kam, mich dort vier Jahre lang in großer Ruhe aufhielt und man sah, dass ich mit großem Eifer Bücher verfasste und abschrieb, wurde ich von einigen Brüdern dieses Klosters aufgefordert, eine Vita des heiligen Bonifatius, die in schwierigem Stil vorlag, etwas leichter neu zu fassen. Obwohl ich dieses Ansinnen lange von mir wies, bin ich schließlich doch durch hartnäckige Bitten dazu gebracht worden, so gut ich konnte, zu erfüllen, worum ich gebeten worden war. Aus diesem Grund habe ich also bereitwillig das Buch über den heiligen Bonifatius geschrieben.

Während ich dort war, habe ich auch ein anderes Buch verfasst, das ich Handbuch, geschrieben zur Ermahnung von Klerikern und Laien genannt habe. Ebenso habe ich das Buch der Sprichwörter zu schreiben begonnen, als ich in diesem Kloster weilte.

Ich wurde dann durch viele Briefe von einigen Brüdern unseres Klosters zurückgerufen, wollte aber nicht so schnell in die Heimat zurückkehren, einmal wegen der oben erwähnten Nachstellungen, zum anderen auf Verlangen der Brüder hin, unter denen ich damals weilte. Mit vielen Bitten flehten sie mich nämlich an, sie nicht zu verlassen. Schließlich habe ich aber mit Not und Mühe die Erlaubnis erhalten zurückzukehren« (Gäbe, op. cit., S. 333).

Der Aufenthalt im Kloster Amorbach (1066/1067): Der „Sermo quomodo legendum sit in rebus visibilibus“

»Aber ich wollte indessen nicht in unser Kloster zurückkehren, bevor ich mir nicht durch einige Auskünfte Klarheit darüber verschafft hatte, wie dort alle Dinge stünden. Deshalb bin ich zu einem Kloster aufgebrochen, das Amorbach genannt wird, und wollte dort so lange abwarten, bis ich mir ein Bild über den zweifelhaften Zustand unseres Klosters gemacht hätte.

Vom Abt dieses Klosters wurde ich mit aller Höflichkeit und Milde empfangen und festgehalten. Oft kam es zwischen uns zu einer regen Unterhaltung über viele Fragen der Heiligen Schrift, und weil ihm meine Antwort sehr oft gefiel, geschah es, dass er gegen das Osterfest zu mir sagte: "Glaubt mir, wenn ich Euch etwas auftragen könnte, würde ich Euch ohne Zweifel auftragen, am bevorstehenden Fest dem Volk eine Predigt zu halten." Ich gab ihm zur Antwort: "Warum sagt Ihr so etwas zu mir, wo ich doch nichts davon verstehe und es niemals gewohnt war, das Volk in der Öffentlichkeit anzusprechen?"

Als er aber sein Anliegen wiederholte, fing ich bald an nachzudenken und sagte mir: "Was würde ich denn tun, wenn mir solches jemand aufgetragen hätte, dessen Befehlen ich mich nicht zu widersetzen wagte? Deshalb muss diese Aufgabe freiwillig von mir übernommen werden, bevor ich von jemand Mächtigerem dazu gezwungen werde; so könnte ich zeigen, was ich dann täte." Sofort nahm ich den Griffel und begann zu schreiben nach Art einer Predigt, ausgehend vom Worte des Psalmisten: Der Herr schaut vom Himmel herab auf die Menschenkinder usw. (Ps 13,2). Diese Worte habe ich, so gut ich konnte, mit Argumenten, die von Gleichnissen herrühren, bekräftigt, weil ich glaubte, dass so der eine oder andere erbaut werden könnten. Diesem Werk habe ich den Titel gegeben Wie man in den sichtbaren Dingen lesen muss« (Gäbe, op. cit., S. 333–335).

Die Rückkehr nach Regensburg (1067) und die letzten Jahre

»Als ich aber fast ein Jahr lang an diesem Ort geblieben war, kamen Boten, die von unserem Kloster geschickt worden waren; mit ihnen bin ich von dort aus in die Heimat zurückgekehrt. Dort fand ich zwar einige vor, die glücklich über meine Rückkehr waren, aber auch andere, die mich auf die gleiche Weise hassten wie zuvor.

Nachdem dies also gesagt ist, will ich noch mitteilen, aus welchem Grund ich die anderen Bücher geschrieben habe. Auch schon bevor ich in das Kloster Fulda ging, habe ich auf Bitten unserer Brüder die Viten des heiligen Nikolaus und des heiligen Wolfgang geschrieben, wobei ich, wie jeweils im Vorwort mitgeteilt wird, die alten Fassungen verbesserte. Ich habe aber auch die Vita des heiligen Alto mit einigen Gedichten, die sich auf denselben Heiligen beziehen, geschrieben.

Nachdem ich aber zurückgekehrt war, habe ich eine Vita des heiligen Magnus geschrieben, weil ich durch die innigen und beständigen Bitten zweier Brüder dazu gedrängt wurde, von Willehalm nämlich aus unserer Bruderschaft, und dem anderen namens Adalham, der aus dem Kloster des heiligen Magnus zu uns kam, um zu lernen, und der jetzt im Kloster der heiligen Afra als Abt eingesetzt ist.

Danach aber sah und hörte ich vom überall herrschenden Verfall der christlichen Religion, von der Nachlässigkeit der Herrscher und Fürsten gegen ihre Untertanen – führten diese nun ein geistliches Leben oder ein weltliches – und trauerte beständig über solche Verhältnisse. Und weil niemand geruhte, mir zuzuhören, wenn ich in einer alltäglichen Unterhaltung davon sprach und ein so großes Unglück betrauerte, begann ich zu überlegen, ob ich nicht schriftlich einige Worte der Heiligen Schrift anführen und so den einen oder anderen erbauen könnte.

Aus diesem Grund also habe ich ein Buch geschrieben, das auch mein neuestes Werk ist, und dem ich den Titel Vom geistlichen Wettlauf gegeben habe. In diesem Buch nun habe ich schriftlich niedergelegt, soviel ich auf meinem Gang durch das Feld der Heiligen Schrift und besonders des Psalters und des Evangeliums durchlaufen konnte. Dazwischen habe ich auch noch einige Predigten und Briefe zum allgemeinen Nutzen geschrieben. Sollte jemand diese etwa lesen wollen, so wird er sie bei uns finden können« (Gäbe, op. cit., S. 335–337).

Schlussbemerkungen

»Ich habe auch vor einigen Jahren ein Buch über das Bekenntnis meiner Taten geschrieben, damit für den Fall, dass eine Krankheit oder der plötzliche Tod mich am Ende des Lebens von der geschuldeten Beichte abhält, ich wenigstens schriftlich offengelegt habe, wer ich aus mir selbst und wer ich aus der Gnade Gottes gewesen bin.

Nun möchte ich noch die Worte zweier Gebete mitteilen. Ich habe nämlich öfter festgestellt, dass ich sehr viele Menschen durch schlechte Beispiele verführt habe; deshalb habe ich mich bemüht, solche Gebetsworte aufzuschreiben, durch die ein jeder belehrt werden kann, auf welche Weise er für sich und andere beten soll. Obwohl manche diese Gebete schon in Händen halten, habe ich beschlossen, sie zum Andenken diesem Werk einzufügen. Nach einigen innigen Bitten, die dem Psalter entnommen sind, beginnt das eine so: O, einzige Hoffnung [...]« (Gäbe, op. cit., S. 339).

»Es folgt auch noch das andere Gebet. Ich habe es deshalb beigefügt, damit der, dem das obenstehende zu lang erscheint, im folgenden ein viel kürzeres erhalte. O, ewiger Vater [...]« (Gäbe, op. cit., S. 349).